In Stein gemeisselt

Ich habe mir lange Gedanken darüber gemacht, was ich aus dem Leben meiner Mutter erzählen könnte.

Sie, die mir stets so nah war, auch wenn wir unsere Aufs und Abs hatte.

Sie, die vieles im Leben erreicht hat, jedoch auch vieles aufgeben musste.

Sie, die so oft durchgehalten hat, wo andere längst aufgegeben hätten.

Sie, die aus allem und für alle immer versucht hat das Beste zu machen, selbst wenn ihr selbst manchmal das Schlechteste widerfahren ist.

Sie selbst hat mir gesagt, dass sie an ihrer Beerdigung auf keinen Fall einen klassischen Lebenslauf mit aneinander gereihten Daten und Fakten hören will. Das wäre ihr ein Graus, hat sie gesagt.

Was bleibt?

So habe ich mich gefragt, was bleibt von meiner Mutter hier?

Und was nimmt sie möglicherweise für immer mit?

In Stein gemeisselt sind ihre unzähligen Skulpturen, die sie uns hinterlässt.

Jede ein Unikat und einzigartig, so wie sie es auch war.

Eine ihrer Skulpturen heisst «Anmut».

Anmutig war meine Mutter für mich und an Mut hat es ihr auch nicht gefehlt. Denn es braucht stets Mut sowohl im Leben, wie auch in der Bildhauerei.

Mut deinen eigenen Lebensweg zu gehen, auch wenn das bedeutet andere zurückzulassen oder einen Teil des Steines wegzuschlagen, auch wenn das unendlich weh tut.

Mut mit Hammer und Meissel einfach mal auf einen oftmals eher unansehnlichen Steinbrocken draufzuhauen im Glauben daran, dass sich irgendwo da drin ein Kunstwerk verbirgt.

Meine Mutter hat selbst stets gesagt: «Der Stein inspiriert mich, er flüstert mir sozusagen zu, welche Form noch verborgen in ihm schlummert.»

Lebenskünstlerin

Meine Mutter war eine Künstlerin, auch im Leben.

Sie kochte zwar nicht gerne und ging auch nicht gerne auf Reisen, liebte dafür aber das Wandern und die Natur umso mehr. Dementsprechend hat sie in ihren Erinnerungen bestimmt auch ein Denkmal für ihren Wanderclub errichtet.

Genauso wie für das Spital in Olten, dort wo sie 30 Jahre gearbeitet hat und diese Arbeit geliebt hat. Dank ihrer offenen, sozialen und freundlichen Art, war sie dort bei allen beliebt und wertgeschätzt.

Diese Wertschätzung war für sie unglaublich kostbar, denn diese erhielt sie nicht überall dort, wo sie diese genauso verdient gehabt hätte.

Mahnmal

Ich komme leider nicht umhin zu sagen, dass sie wohl irgendwo ganz tief in ihrem Innern auch ein Mahnmal aus Bürden, Enttäuschungen und zuletzt auch aus Krankheit errichtet hat.

Dieses Mahnmal hat einen riesigen Schatten geworfen und ihr einst so lichtvolles Wesen sehr stark verändert.

Ich bin mir jedoch sicher, dass dieser Schatten, jetzt da sie im Licht ist, nicht mehr existiert, er sich einfach verabschiedet und in Würde aufgelöst hat.

Skulptur-Garten der Erinnerung

Meine Mutter hat für ihr Leben gerne getanzt. Und genauso behalte ich sie in Erinnerung und sehe ich sie jetzt in diesem Moment auch vor mir.

Ich sehe wie sie jetzt ausgelassen tanzt und zwar in einem Skulptur-Garten, den sie aus ihren schönsten Erinnerungen geschaffen hat.

Sie tanzt und tanzt bis wir uns eines Tages wieder sehen werden, um dann einfach gemeinsam bis in alle Ewigkeit im Licht der Sterne weiter zu tanzen.

Kein Grabstein

Für mich bleibt daher am Ende auch nicht ein trister Grabstein auf dem ihr Name und ihr Todesdatum steht. Nein, für mich bliebt am Ende ihr Lebenswerk, ihre Anmut und ihre Liebe, die sie für uns in Stein gemeisselt hat.

(eine Auftragsarbeit von einer Tochter für ihre Mutter - © Murielle Kälin www.schlusslicht.ch)

08.03.2022

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